Das Berater-Team der Diakonie Naumburg bewältigt die Krise und lernt hinzu.
NAUMBURG – Suchtabhängige seien in der Corona-Krise zusätzlich gefährdet. Wegen der eingeschränkten oder teils ganz eingestellten Beratungsangebote würde sich die Suchtproblematik in Deutschland verschärfen. Die Folgen seien – nicht nur weil Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen häufig unter schweren chronischen Erkrankungen leiden und somit eine Risikogruppe darstellten – dramatisch. „Verelendung und Obdachlosigkeit sowie Rückfälle sind sehr wahrscheinlich“, schrieb im August der Verlag Pabst Science Publishers auf seiner Internetplattform „Psychologie-Aktuell.com“. Weil das die vier Beraterinnen der hiesigen Diakonie-Beratungsstelle genauso sehen, legten sie alles daran, ihre Klienten seit der ersten Eindämmungsverordnung, mit der sie ihre Beratungsstelle schließen mussten, nicht allein zu lassen.
„Für uns hieß es nicht: ’Wir dürfen nicht’, sondern ’Wie geht es dennoch’“, erzählt Karin Meyenberg, verantwortlich für die Schuldner- und Insolvenzberatung. Mit dem gemeinsamen Anspruch, unbedingt weiterzumachen, beriet sie mit ihren Kolleginnen – das sind Monika Magnus und Jacqueline Klingler von der Suchtberatung und Anita Gutte vom Ambulant Betreuten Wohnen -, wie sie ihre Arbeit trotz der Corona-Beschränkungen aufrechterhalten könnten. Entscheidend sei gewesen, dass die diversen Förderungen vom Land nicht eingestellt wurden, es ein gutes Miteinander mit dem Landkreis gibt, man längst ein tragfähiges Netzwerk aufgebaut hatte und die Frauen täglich ihre Büros aufsuchen und so in einen fachlichen Austausch kommen durften. In vielen Sitzungen haben sie neue Strategien besprochen. „Wir mussten alte Gewohnheiten aufbrechen, das war für uns eine große Herausforderung“, sagt Monika Magnus.
Mit der Lockdown-Phase brachen die persönlichen Beratungen weg, blieb die sonst geöffnete Tür den Klienten und Hilfesuchenden von Mitte März bis Ende Mai verschlossen. Man wich auf Telefonberatungen aus. „Unsere Arbeit lebt aber von der Mimik und Gestik“, deutet Jacqueline Klingler eines der Probleme an. Man könne am Telefon zwar die Stimmungslage abschätzen, was inzwischen noch besser gelinge, sieht aber nicht, ob der Klient beispielsweise ein blaues Auge hat oder dessen Kind leidet. Nicht alle Klienten konnten sie auffangen. Psychische Probleme hätten sich mit dem Lockdown verschärft. Singles seien vereinsamt. Eine Frau, der nach einer medizinischen Reha die Nachsorge im persönlichen Kontakt verwehrt blieb, „war drei Monate weg, ist in eine Krankheit gestürzt“, so Monika Magnus. Wegen geschlossener Werkstätten und Kitas oder ausgesetzter Bildungsmaßnahmen blieben die Klienten sich selbst überlassen.
Groß sei der Frust bei drogen- und alkoholabhängigen Kraftfahrern gewesen, die an der im Volksmund als Idiotentest bezeichneten Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) teilnehmen müssen. Ein Jahr lang müssen sie ihre Abstinenz mit Hilfe von Urinproben nachweisen. Weil die Begutachtungsstellen geschlossen hatten, wird sich das Prozedere nun über ein Jahr hinausziehen. „Punktuell haben wir die betroffenen Klienten mit gezielter Krisenintervention wieder vom Kirschbaum geholt“, so Jacqueline Klingler, die auch für die MPU-Klienten zuständig ist.
Problematisch gestaltete sich die Reha-Vermittlung. Teils habe man Klienten in der Reha freigestellt, nach Hause zu gehen. Andere durften ihre Reha nicht antreten. So kam auf die Beraterinnen ein Mehraufwand zu. „Wir hatten straff zu tun,“ so Monika Magnus.“ Während der Telefonphase haben sie erste neue Strukturen aufgebaut, die Mitarbeiter des Empfangs für einen reibungslosen Ablauf in die terminliche Organisation mit eingebunden. Im Mai und Juni trafen sie sich wieder mit Klienten – unter freiem Himmel. „Eigentlich finden unsere Hausbesuche einmal pro Woche statt, vorübergehend konnten wir nur telefonieren. Es gab durch die Isolierung durchaus Rückfälle“, erzählt Anita Gutte, von deren Team aktuell 16 Klienten im Ambulant Betreutem Wohnen versorgt werden. Auch die anderen Beraterinnen trafen sich fortan mit ihren Klienten in der Öffentlichkeit. Seit Juni hat die Beratungsstelle wieder geöffnet, aber anders als in der Vor-Corona-Zeit. Nun haben sie für jeden Berater einen Wochentag für Beratungstermine festgelegt, Tische und Stühle der Beratungsräume neu gruppiert, ein Hygienekonzept aufgestellt. Auch Gruppengespräche bis zehn Personen bieten sie wieder an. „Die Klienten schätzen dies sehr, sind jetzt zuverlässiger. Ihnen ist bewusst, dass sie es brauchen“, so Monika Magnus.
Die Beraterinnen hätten in den vergangen Monaten viel gelernt. Am Telefon mussten sie andere Methoden in der Gesprächsführung nutzen. „Wir haben ins Schatzkästchen gegriffen und das Repertoire an Möglichkeiten ausprobiert, sind effektiver geworden“, so Karin Meyenberg. Die neu aufgebauten Strukturen haben sich bewährt und sollen beibehaltenen werden. Corona – die Diakonie-Beraterinnen begreifen diese Zeit als Chance
Naumburger Tageblatt vom 14.09.2020
Text: Jana Kainz
Foto: Torsten Biel