„Wenn das Haus Lepsiusstraße 4 erwähnt wird, bekommen Menschen feuchte Augen“, erzählt die 81-jährige Heidi Schäfer, die in dem Haus von 1960 bis 63 zur Katechetin ausgebildet wurde. Noch bis kurz nach der Wende lebten hier junge Menschen im Internat, die das kirchliche Abitur im Proseminar ablegen wollten. Naumburg war einer der Orte in der DDR, an dem nicht systemkonforme junge Menschen ein Abitur machen konnten, um anschließend am Katechetischen Oberseminar, der kirchlichen Hochschule, Theologie oder Gemeindepädagogik zu studieren.
Das Haus war 1912 als Stadtvilla gebaut worden. „Es war dann Fremdenheim, Christliches Hospiz und Gemeindehaus Sankt Othmar“, erinnert sich die 89-jährige Pfarrerin Barbara Wichmann, die als Dozentin viele Jahre in der Lepsiusstraße wirkte. Nach dem 2. Weltkrieg wurde es Katechetisches Seminar zur Ausbildung von Religionslehrerinnen und Religionslehrern.
Nach dem Krieg und nachdem es schon zwischen 1933 und 1945 keinen Religionsunterricht gegeben hatte, hieß es: „Wir müssen uns um unsere Kinder kümmern. Wir brauchen Leute, die für die christliche Erziehung da sind“, erinnert sich Cordula Schlemmer. Die 83-Jährige war Mitte der 50er Jahre zur Katechetin ausgebildet worden. Nicht kommunistisch eingestellte Lehrer, die aus dem Schuldienst entlassen worden waren, wurden nach einer Art Schnellkurs als Lehrkräfte im Katechetischen Seminar eingestellt. Anfangs konnte noch in Räumen der staatlichen Schulen unterrichtet werden, wenn auch schon unter der Verantwortung der Kirche. Aus der Bezeichnung „Religionsunterricht“ entwickelte sich mehr und mehr der Begriff „Christenlehre“.
Im Erdgeschoss der Lepsiusstraße wurde unterrichtet, in der 1. Etage waren die Schlafräume und im Obergeschoß eine Mietwohnung. „Wir waren damals auf engstem Raum untergebracht. Ich lebte und arbeitete in einem Zimmer. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen“, so Barbara Wichmann, Dozentin in den 50er Jahren.
Im Keller war für damalige Verhältnisse eine moderne Küche eingerichtet worden. „Sie wurde später nicht mehr genutzt, weil es zu teuer war, sie mit Kohlen zu heizen. Die Küche wurde zum Kohlenkeller. Gekocht wurde oben in einem der Räume. Barbara Wichmann: „Es war schwierig, den Dielenboden sauber zu schrubben.“ Auch Cordula Schlemmer erinnert sich an die harten Winter. „Es war so kalt, dass wir mit Trainingshosen in den ungeheizten Schlafzimmern schlafen mussten.“
Im Katechetenseminar wurden zeitgleich etwa 30 Leute in einem Unter- und Oberkurs ausgebildet. Im Erdgeschoß wurde in einem großen Raum unterrichtet, gegessen und später wurden dort die Schularbeiten gemacht. Die Schlafzimmer waren dafür viel zu kalt. Wegen der schwierigen Lebensbedingungen und der Enge wurden dann ältere Seminarteilnehmer zur Untermiete in Naumburg untergebracht.
Als Heidi Schäfer 1960 einzog, hatte sich schon einiges geändert. Die Zimmer hatten inzwischen Öfen und wurden von den Schülerinnen geheizt. „Es war so eine wunderbare Atmosphäre im Haus. Es war familiärer, freundlich und anspruchsvoll“, so die Katechetin im Ruhestand. Der Unterricht sei ein Genuss und die Dozenten wären wunderbar gewesen. Es gab gemeinsame Tanzstunden mit Abschlussball, Wanderungen nach Bad Kösen, Theater in Leipzig oder auch Kartoffellesen im Herbst. Heidi Schäfer erinnert sich gerne an die gemeinsamen Essen an dem langen Tisch im großen Essraum.
Um 1970 herum wurde die Katecheten-Ausbildung in der DDR zusammengelegt und nach Wernigerode verlagert. Das Haus Lepsiusstraße wurde Internat. Nach der Wende und dem Ende der theologischen Ausbildung in Naumburg begannen Kirchengemeinden und Kirchenkreis verschiedene Hilfsangebote für ältere Menschen anzubieten. So wurden z.B. in Laucha, Bad Kösen, Naumburg, Osterfeld und Kayna Sozialstationen gegründet. 2002 wurde aus diesen Initiativen heraus dann die Diakonie Naumburg-Zeitz gGmbH gegründet. Das Haus Lepsiusstraße wurde noch bis 2009 für verschiedene Wohnzwecke genutzt.
Nun wird das geschichtsträchtige Haus wiederbelebt. Nach zehn Jahren Leerstand im Haus Lepsiusstraße 4 in Naumburg kündigt ein großes Schild: Die Diakonie Naumburg-Zeitz startet im Juli nächsten Jahres ein Wohnprojekt mit Modellcharakter. Auf zwei Etagen wohnen dann jeweils sechs Bewohnerinnen und Bewohnern in zwei sich selbstorganisierenden Wohngemeinschaften. In der Mansarde wird es vier barrierefreie Wohnungen geben. „Die Senioren können ihren Alltag selbst gestalten und entscheiden, unabhängig inwiefern sie Betreuung in Anspruch nehmen“, sagt Siegfried Kosdon, Geschäftsführer der Diakonie Naumburg-Zeitz. also der Umbau: Das Projekt in Naumburg wartet schon einige Jahre auf die Umsetzung. Bisher war es an den Finanzen gescheitert. Nun investiert die Diakonie Naumburg-Zeitz 2,3 Millionen Euro. Dabei wird sie aus Mitteln des Evangelischen Kirchenkreises Naumburg-Zeitz und der Hamburger Stiftung Deutsches Hilfswerk (DHW) gefördert. Das DHW unterstützt in ganz Deutschland Projekte finanziell aus dem Losverkauf der Deutschen Fernsehlotterie.
Der Zustand des Hauses sei verhältnismäßig gut, sagt Architekt Jan Deutsch. „Ich hoffe, dass es beim Umbau keine größeren Überraschungen gibt.“ Sorgen machen ein wenig die Feuchtigkeit und der Schädlingsbefall im unteren Bereich des Hauses. Es müssen Heizung, Lüftung, Elektrik, Fenster und Dach erneuert werden. Außerdem sind Balkone, ein Fahrstuhl und ein neuer Zugang im hinteren Bereich geplant.
Das Konzept stützt sich auf Erfahrungen im Sankt Georg-Stift und dem Barbara-Haus in Teuchern. Im Stift wird ein Hausgemeinschaftskonzept mit abgestuftem Service und Hilfeleistungen gelebt. Im altersgerechten Wohnen Barbara-Haus wohnen ältere Menschen selbständig und können bedarfsgerecht Hilfe erhalten. „Seit über zehn Jahren besteht das Modell vom altersgerechten Wohnen in Teuchern. Es vermittelt Sicherheit und ermöglicht Gemeinschaft. Diese Wohnform ist für Viele im Alter interessant“, so Siegfried Kosdon weiter.
So verfolgt auch Cordula Schlemmer gespannt das Baugeschehen in der Lepsiusstraße in Naumburg. Sie interessiert sich sehr für das neue Seniorenwohnen und kann sich vorstellen, in das Haus ihrer Ausbildung zurückzukehren.
Das Seniorenwohnen wird voraussichtlich zum Juli 2020 starten. Interessierte können sich an den Geschäftsführer Siegfried Kosdon wenden!